Als im März 2020 Covid-19 zur Pandemie erklärt und in den meisten Ländern der Welt sogenannte Lockdown Maßnahmen verhängt wurden, wurde klar, dass die Gesundheitskrise auch eine schwere Wirtschaftskrise auslösen würde. Die Wirtschaftskrise traf vor allem die Branchen Tourismus, Freizeit und Gastronomie, aber auch viele andere. Am stärksten betroffen waren die Beschäftigten in diesen Branchen, gering qualifizierte Arbeitnehmer*innen und auch junge Menschen oder Hochschulabsolventen, die kurz vor dem Eintritt in den Arbeitsmarkt standen. Allgemein haben die Wirtschaftskrise und die großen Veränderungen in der Arbeitswelt die Karriereerwartungen und die Beschäftigungssituation vieler Menschen drastisch verändert. Gleichzeitig waren auch die Strukturen, die normalerweise Berufs- und Bildungsberatung für Personen anbieten, die sich in Situationen von Neuorientierung oder Arbeitsplatzverlust befinden, von den Maßnahmen des ‘Social Disctancing’ betroffen und nicht in der Lage, ihre Dienstleistungen wie gewöhnlich anzubieten.
Vor der Pandemie wurden in den meisten Ländern Berufs- und Bildungsberatung persönlich und in den Räumlichkeiten der Organisation angeboten, während Strukturen für Fern- oder E-Beratung eher selten oder nicht sehr entwickelt waren. In einer Zeit, in der es für viele Menschen sehr wichtig wurde einen einfachen Zugang zu beruflicher Unterstützung, Informationen über die Arbeitssuche oder Beratung zu Fortbildung und Umschulung zu erhalten, mussten viele Dienste improvisieren und arbeiteten hart daran, auf die Bedürfnisse zu reagieren und neue Wege der zu finden ihre Angebote aufrecht zu erhalten. Am Anfang bedeutete dies eine verstärkte Nutzung von Telefon und E-Mail, aber später auch Online-Einzelberatung, Webinare, Online-Jobbörsen oder YouTube-Tutorials zur Berufsberatung und andere.
Die erfolgreiche Implementierung dieser neuen digitalen Dienste war in hohem Maße abhängig von den digitalen Fähigkeiten oder der Bereitschaft der Berater*innen und Organisationen, mit den neuen Werkzeugen zu arbeiten und zu lernen, von der Fähigkeit, die Konsequenzen dieser neuen Angebote für den Datenschutz zu klären und von den finanziellen Ressourcen, die für die Einführung neuer Werkzeuge oder die Produktion von Inhalten zur Verfügung stehen.
Die folgende Tabelle zeigt die Ergebnisse einer internationalen Umfrage von Juni bis August 2020, die von Cedefop veröffentlicht wurde und eine Orientierung gibt, welche Art von Beratungsaktivitäten für ein Remote-Angebot angepasst wurden und welche nicht mehr angeboten wurden:
Grafik Quelle: Cedefop; Europäische Kommission; ETF; ICCDPP; ILO; OECD; UNESCO (2020). Berufsberatungspolitik und -praxis in der Pandemie: Ergebnisse einer gemeinsamen internationalen Umfrage -Juni bis August 2020.Luxemburg. Seite 47
Nach etwa einem Jahr, in dem Berufs- und Bildungsberatung aus der Distanz und oft online in verschiedenen und neuen Formaten angeboten wurde, ist klar, dass es steile Lernkurven der Organisationen und Berater*innen in Bezug auf digitale Fähigkeiten gab und wertvolle Erfahrungen gesammelt wurden. Aber bisher kann aber wenig darüber gesagt werden, wie sich die Online-Umgebung auf die Effektivität der Beratung auswirkt oder wie “gute Praxis” der Beratung in einer Online-Umgebung definiert wird, und es wird noch Forschung nötig sein.
Ein offensichtliches Risiko scheint zu sein, dass die kontinuierliche berufliche Weiterbildung zu effektiver Beratungspraxis, Selbstreflexion der Berater*innen und kollegiale Beratung zu kurz kommt. Dies wurde schon vor der Krise von vielen Praktiker*innen als Mangel geäußert wurde und mit all den neuen Herausforderungen wird die Zeit, die dem Lernen und der Weiterbildung gewidmet ist, schnell mit dem Erwerb weiterer digitaler Kompetenzen gefüllt.
Eine weitere Herausforderung, mit der sich viele Berater*innen schon vor der Krise konfrontiert sahen, war die sehr hohe Anzahl von Klienten, die sie begleiteten und nicht genug Zeit, um allen die nötige Unterstützung zukommen zu lassen. Mit der anhaltenden Wirtschaftskrise werden diese Zahlen hoch bleiben oder sogar noch steigen.
Das Erasmus+ Policy Experimentation Projekt Good E-Guidance Stories, das im März 2021 startete, will auf die aktuellen Herausforderungen auf verschiedene Weise reagieren. Es wird mit der von künstlicher Intelligenz unterstützen Plattform Jobiri arbeiten, die zum Beispiel Trainingsmodule und Beratung für Arbeitssuchende anbietet, Lebensläufe mit Stellenausschreibungen abgleichen kann und auch Berater*innen dabei unterstützt, aktuelle Arbeitsmarktanalysen zur Verfügung zu haben. Im Idealfall wird dadurch die Zeit der Berater*innen für die eigentliche Beratung und den persönlichen Austausch mit den Ratsuchenden frei. Die gleiche Aufmerksamkeit kommt in dem Projekt aber auch hochwertigen Weiterbildungsangeboten für für Berater*innen zu, diese besteht aus Inhalten zum Erwerb weiterer digitaler Kompetenzen ebenso wie Beratungskompetenzen und den Aufbau und Austausch in einer transnationalen Community of Practice.
Junge Menschen und Hochschulabsolvent*innen sind stark von der Krise betroffen, sie verlieren Arbeitsplätze oder haben Schwierigkeiten, in den Arbeitsmarkt einzutreten, der Bedarf an Berufsberatung steigt in vielen Aspekten und die Form der Vermittlung ändert sich komplett. E-Guidance bzw. digitale Beratungsangebote sind der Schlüssel, um den Kontakt mit der Zielgruppe zu halten und Hoffnung und bedarfsgerechte und klientenzentrierte Beratung zu geben. Dafür müssen Berater*innen und Jobcoaches mit geeigneten Tools und einem Skillset ausgestattet werden, die ein passgenaues Online-Angebot ermöglichen. Auch das Projekt SYMPATIC bietet ein innovatives und weiterführendes Weiterbildungsangebot für Berater*innen und Jobcoaches an. In der ersten Maiwoche 2021 findet ein dreitägiges Training für Jobcoaches statt.
Quellen:
OECD (2021), Career Guidance for Adults in a Changing World of Work. Getting Skills Right. OECD Publishing, Paris. https://doi.org/10.1787/25206125
Cedefop; European Commission; ETF; ICCDPP; ILO; OECD; UNESCO (2020). Career guidance policy and practice in the pandemic: results of a joint international survey – June to August 2020.Luxembourg: Publications Office of the European Union. http://data.europa.eu/doi/10.2801/318103
Good Guidance Stories 2.0, Methodological Concept (2019): https://goodguidancestories.org/index.php/project/resources/methodological-concept/
Good E-Guidance Stories. Erasmus+ Results Platform: https://ec.europa.eu/programmes/erasmus-plus/projects/eplus-project-details/#project/626152-EPP-1-2020-2-DE-EPPKA3-PI-POLICY